Kontinuitäten in Zeiten des Umbruchs – interdisziplinäre Untersuchungen zu Klima, Umwelt und kultureller Entwicklung im 1. Jahrtausend n. Chr. in Nordwestdeutschland

Betrachtet man primär die spärlichen schriftlichen Quellen für den zu untersuchenden Zeitraum des 1. Jt. n. Chr., so erhält man für den nordwestdeutschen Raum ein Bild großer kultureller Brüche. Für das 5. und 6. Jahrhundert wird in den Quellen von der Auswanderung der Sachsen nach England berichtet, ohne dass beschrieben wird, welche Folgen die Migration für Nordwestdeutschland hatte. Allein die Aussage des angelsächsischen Chronisten Beda „Angu­lus desertus“ für die in Schleswig-Holstein gelegene Landschaft Angeln, aus der „die Angeln“ gleichzeitig mit den Sachsen nach England migrierten, lässt erahnen, dass es zumindest partiell zur Aufgabe ganzer Landstriche im nordwestdeutschen Raum gekommen sein kann. Viele Jahrzehnte lang wurde dieses von den historischen Quellen geprägte Bild einer diskontinuier­lichen Besiedlungsentwicklung mit markanten kulturellen Brüchen auch weitgehend von Archäologen und Naturwissenschaftlern akzeptiert; es bildete sogar in der Regel die Basis für die siedlungs- und landschaftsgeschichtliche Interpretation der Funde und Befunde aus Nord­westdeutschland, wobei eine systematische, auf unabhängig gewonnenen Fakten beruhende Überprüfung dieser Thesen ausstand. Zumindest einigen der bis dato noch ungeklärten Fragestellungen konnte im Rahmen einer mehrmonatigen Pilotstudie nachgegangen werden. Im Mittelpunkt dieses Forschungsvorhabens standen Untersuchungen an einer exemplarischen Auswahl an Keramikfunden (typologisch und technologisch), an Textilfunden aus Nekropolen und Siedlungsarealen, an Knochen- und Pflanzenresten sowie an Bodenaufschlüssen und Moorprofilen. Dabei beschäftigten sich die Analysen vor allem mit der Frage, ob in der Herstellung und Nutzung der Gebrauchsgegenstände oder in der handwerklichen und landwirt­schaftlichen Produktion im Laufe des zu untersuchenden Zeitraums markante Veränderungen oder eher Weiterentwicklungen auf der Basis der lokal verfügbaren und traditionell genutzten Technologie zu erkennen sind. Darüber hinaus wurde untersucht, inwieweit es in dieser Zeit zu Veränderungen der Umwelt gekommen ist. Die dabei erzielten Erkenntnisse konnten anschließend mit Hilfe naturwissenschaftlich abgesicher­ter Altersmodellen chro­nologisch eingeordnet werden.

Literatur

  • Nösler, D. & Wolters, S. (2009): Kontinuität und Wandel – Zur Frage der spätvölkerwanderungs-zeitlichen Siedlungslücke im Elbe-Weser-Dreieck. In: Heinrich-Tamaska, O., Krohn, N. & Ristow, S. (Hrsg.): Dunkle Jahrhunderte in Mitteleuropa? Tagungsbeiträge der Arbeitsgemeinschaft Spätantike und Frühmittelalter. Kovač, Hamburg, 367–388.