Rituale in einem neuen Licht – Moderne Feldforschungs-, Dokumentations- und Visualisierungsstrategien am Beispiel des Gräberfeldes Nienbüttel
Im Rahmen des vom Land Niedersachsen durch das Pro*Niedersachsen-Programm geförderten Projektes führt das NIhK (Dr. Melanie Augstein, Christina Peek M. A., Pière Leon Frederiks M. Sc., Dr. Katrin Struckmeyer) zusammen mit dem Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte am Heinrich Schliemann-Institut der Universität Rostock (Prof. Dr. Hans-Jörg Karlsen), der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (Dr. Andrea Fischer) sowie der Abteilung Prähistorische Anthropologie und Humanökologie der Universität Göttingen (Dr. Birgit Großkopf) neue Forschungen auf dem großen Urnengräberfeldes von Nienbüttel (Lkr. Uelzen) durch.
In Nienbüttel fanden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Ausgrabungen statt, bei denen insbesondere diejenigen von Gustav Schwantes, hervorzuheben sind, da Schwantes für einen Laien, der er zu der Zeit noch war, die archäologischen Befunde und Funde ausgesprochen detailliert und durchaus nach wissenschaftlichen Kriterien dokumentiert hat. Nienbüttel wäre vielleicht zum Paradigma eines Waffengräberfeldes im Niederelbegebiet geworden, hätte es in der Folge nicht so eine wechselvolle und in vielerlei Hinsicht unglückliche ›Biographie‹ erfahren. Im Rahmen eines von 2014–2020 durch die DFG geförderten Projektes wurden die Altgrabungen von Dr. Melanie Augstein und Prof. Dr. Hans-Jörg Karlsen kritisch aufgearbeitet und die Grabinventare soweit wie möglich rekonstruiert. Erste kleine Feldforschungen der Universitäten Leipzig und Rostock haben zudem gezeigt, dass ein großer Teil des Gräberfeldes noch gar nicht ausgegraben worden ist und vor allem, dass noch ungestörte Areale vorliegen, in denen intakte Urnen, Deponierungen von Objekten ohne Grabzusammenhang und rätselhafte große Steinkonzentrationen anzutreffen sind. Es zeigt sich, dass Nienbüttel offensichtlich mehr als nur ein Niederlegungsort von Urnen war.
Hier setzt das neue Projekt ein. Durch den kombinierten Einsatz geophysikalischer Messungen, 3D-Structure-from-Motion-Technik, bodenkundlicher Analysen und gezielten kleinräumigen archäologischen Ausgrabungen, bei denen komplexe Strukturen als Blöcke geborgen und unter Laborbedingungen feinstratigraphisch und textilanalytisch untersucht werden sollen, gilt es, konkrete Handlungsabläufe, die Sequenzen des Bestattungsrituals und das komplexe Ritualgeschehen zu rekonstruieren, das auf dem Gräberfeldareal stattfand.
Literatur
- Augstein, M. und Karlsen H.-J., 2016: Nienbüttel – der »reichste Urnenfriedhof des östlichen Hannovers«. In: A. Siegmüller, Ch. Peek, B. Ludowici u. H. Jöns (Hrsg.), Aktuelle Forschungen an Gräberfeldern des 1. Jahrtausends n. Chr. Siedlungs- und Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 39, 25–36. Rahden/Westf.
- Augstein, M. und Karlsen, H.-J., 2019: Nienbüttel – New Research on Old Graves. In: M. Augstein u. M. Hardt (Hrsg.), Sächsische Leute und Länder – Benennung und Lokalisierung von Gruppenidentitäten im ersten Jahrtausend. Neue Studien zur Sachsenforschung 10, 227–235. Wendeburg u. Braunschweig.
- Karlsen, H.-J. u. Augstein, M. 2023: Das Gräberfeld von Nienbüttel – der »reichste Urnenfriedhof des östlichen Hannovers«. Die Altgrabungen von 1901 bis 1911. Neue Studien zur Sachsenforschung 12. Wendeburg u. Braunschweig.