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Töpfereitraditionen frühmittelalterlicher Muschelgruskeramik im nordwestlichen Mitteleuropa

Die Keramikinventare frühmittelalterlicher Siedlungen im südlichen Nordseeküstengebiet zeichnen sich durch das Vorhandensein von Muschelgruskeramik aus. Insbesondere Siedlungen zwischen der unteren Ems und der Jadebucht weisen im 9. und 10. Jahrhundert große Mengen dieser lokal hergestellten Warengruppe auf. Dabei handelt es sich um Gefäße, deren Tone mit zerkleinerten Muschelfragmenten gemagert wurden, sodass an der Oberfläche dieser Keramik weiße, kalkhaltige Einschlüsse zu sehen sind. Oftmals wurden die Muschelfragmente allerdings während der Bodenlagerung der Keramik ausgewaschen, was zu einer charakteristischen blasigen Oberfläche der Gefäße führt. Besonders hervorzuheben ist, dass Muschelgruskeramik auch außerhalb ihres Hauptverbreitungsgebietes an den bedeutendsten frühmittelalterlichen Handelsplätzen des Nord- und Ostseeraums, wie beispielsweise Dorestad, Ribe, Kaupang und Haithabu, vorkommt. Für gewöhnlich wird in der Forschung das Auftreten von Muschelgruskeramik an diesen Plätzen mit der Anwesenheit von friesischen Händlern in Verbindung gebracht. Entsprechend groß ist der Beitrag, den diese Keramik aufgrund ihrer überregionalen Verbreitung für die Rekonstruktion frühmittelalterlicher Handelsnetzwerke entlang der Nord- und Ostseeküste einnimmt.

In der archäologischen Forschung zur Muschelgruskeramik liegen bislang hauptsächlich typologische Studien zum Gefäßspektrum der Warengruppe vor. Hingegen wurden technologische Untersuchungen zur Muschelgruskeramik bislang nur sehr vereinzelt durchgeführt. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten, dreijährigen Forschungsvorhabens soll diese Forschungslücke nun geschlossen werden. Unter Einbeziehung von unterschiedlichen archäometrischen Methoden, darunter chemische Analysen sowie Dünnschliffuntersuchungen, wird eine breite Datenbasis zu technologischen Aspekten der Muschelgruskeramik erhoben. Die Keramikanalysen werden von Dr. Katrin Struckmeyer in Zusammenarbeit mit Dr. Torbjörn Brorsson durchgeführt.

Zunächst liegt der Fokus des Projektes auf der Keramik im Hauptverbreitungsgebiet der Warengruppe im südlichen Nordseeküstenraum. Ziel dieser Untersuchungen ist es, die zur Herstellung verwendeten Rohstoffe sowie die technologischen Merkmale ihrer Verarbeitung umfassend zu charakterisieren. In einem weiteren Schritt sollen die erhobenen Daten als wichtige Referenzangaben für eine detaillierte Herkunftsbestimmung von Muschelgruskeramik außerhalb des Kerngebietes dienen. Hierfür sollen Funde von Muschelgruskeramik, die in den verschiedenen Plätzen entlang der Nord- und Ostseeküste als Fremdgüter auftreten, in die Untersuchung einbezogen werden. Es ist zu erwarten, dass sich aus diesen vergleichenden Untersuchungen wichtige Hinweise auf unterschiedliche Warenströme und Handelsrouten friesischer Händler ergeben. Anhand der Analyse von Muschelgruskeramik können somit neue Erkenntnisse zum überregionalen Warenaustausch gewonnen werden, der für das Frühmittelalter des nordwestlichen Mitteleuropas in hohem Maße prägend gewesen ist.